Rechnen, Zeichnen, Reden. Zur Geschichte der Datenverarbeitung im langen 19. Jahrhundert

Rechnen, Zeichnen, Reden. Zur Geschichte der Datenverarbeitung im langen 19. Jahrhundert

Veranstalter
Volker Köhler, FG Neuere und Neueste Geschichte, Institut für Geschichte, TU Darmstadt
Veranstaltungsort
Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz
PLZ
55131
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
04.04.2024 - 05.04.2024
Deadline
30.09.2023
Von
Volker Köhler, Institut für Geschichte, TU Darmstadt

Die Tagung hat das Ziel mit empirischen und theoretischen Beiträgen der Entwicklung der Datenverarbeitung im langen 19. Jahrhundert in Europa nachspüren. Dabei sollen Praktiken – etwa der Statistik, Visualisierung und Kommunikation – im Zentrum der Debatte stehen.

Rechnen, Zeichnen, Reden. Zur Geschichte der Datenverarbeitung im langen 19. Jahrhundert

Datenverarbeitung ist ein aktuelles Thema. Computer und Computerprogramme sind für uns alltägliche Begleiter geworden. Suchmaschinen und deren Algorithmen sind Gatekeeper des digitalen Wissens. Auch die Visualisierung von Daten ist im digitalen Zeitalter ein allgegenwärtiges Thema. Doch wie wurde mit Daten und ihren verschiedenen Visualisierungsformen in einer noch nicht digitalisierten Moderne umgegangen?
Diese Frage soll den Ausgangspunkt bilden für eine Tagung, deren Gegenstand die Datenverarbeitung im langen 19. Jahrhundert (ca. 1750-1914) sein soll.

Gerade für das 19. Jahrhundert hat sich in den vergangenen Jahren eine vielfältige Forschungslandschaft rund um Fragen der Wissens-, Daten- und Visualisierungsgeschichte herausgebildet. Gleichzeitig entwickelte sich eine kulturgeschichtlich orientierte Neudeutung der Verwaltungsgeschichte, die sich auch mit der Verarbeitung von Daten in bürokratischen Prozessen staatlicher und nicht-staatlicher (etwa unternehmerischer) Provenienz beschäftigt. Ziel dieser Tagung ist es, die Perspektiven der Wissens- und der Verwaltungsgeschichte zusammenzubringen und insbesondere für das lange 19. Jahrhundert zu synthetisieren. Beiträge aus anderen Teildisziplinen und Fächern sind ausdrücklich erwünscht, um die Debatte möglichst breit und innovativ führen zu können.

Der räumliche Fokus liegt auf Europa in seiner globalen Dimension. Denn: Datenverarbeitung und -erhebung kann gerade für Europa nur als Folge globaler Vernetzung verstanden werden, da im kolonialen Kontext Datenerhebungsverfahren eingeübt und erlernt wurden. Darauf haben Arbeiten der Wissensgeschichte vielfach hingewiesen.

Im Kern soll es darum gehen, nach Räumen, Foren und Orten zu suchen, in denen Daten aufbereitet wurden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf alltäglichen Praktiken der Datenverarbeitung: Welche Formen von Daten und Praktiken lassen sich im staatlichen und nicht-staatlichen Bereich identifizieren? Wie wurden aus erhobenen Zahlen Statistiken, Grafiken, Handlungsanweisungen oder Prognosen?
Durch die Beantwortung dieser Fragen möchte die Tagung Daten als Information in Wissenssystemen ausleuchten. Der Begriff Daten soll dabei möglichst breit definiert werden. Alle durch Beobachtung oder Messung generierten Informationen können darunter fallen. Es ist damit kein Quellenbegriff gemeint.

Für Europa lässt sich beobachten, dass Methoden der Datenerhebung zunehmend komplexer wurden. Aus dem einfachen Zählen und Auflisten, etwa von Untertanen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen, wie es noch in der deutschsprachigen Kameralistik bis zur Jahrhundertwende üblich war, entwickelte sich der Umgang mit erhobenen Daten weiter. Zunächst wurden statistische Methoden ab den 1830er Jahren zur Interpretation von Daten eingesetzt; ab der Jahrhundertmitte professionalisierten sich statistische Bureaus in Europa zusehends. Auch die Visualisierung erhobener Daten scheint ein Signum der Entwicklung des 19. Jahrhunderts zu sein. Daten wurden auch und nicht zuletzt als Entscheidungsgrundlagen für politische Akteure kommuniziert.

In diesem Zusammenhang erscheint es fruchtbar, danach zu fragen, inwieweit die sich im 19. Jahrhundert herausbildenden Praktiken der Datenverarbeitung exemplarisch für die Moderne als Epoche stehen. Kann der der Versuch, verarbeitete Daten als Entscheidungsgrundlage zu nutzen, einem Trend der Komplexitätsreduktion zugerechnet werden, da objektive Fakten geschaffen wurden? Oder eröffnete vielmehr die zunehmende Ausdifferenzierung der Art und Weise der Datenverarbeitung Raum für Ambivalenzen?

Im Rahmen der Tagung sollen diese Entwicklungen anhand der folgenden fünf Leitfragen einordnen und diskutieren:

1. Welche Wissensordnungen werden durch die Datenerhebungen generiert oder verstetigt?
2. Welche Rolle spielt der Staat in diesen Erhebungen?
3. Welches Bild von „Normalität“ bilden Daten ab?
4. Gibt es einen Zugriff auf Daten, der sich in gängige Interpretationsmuster der Moderne als Epoche einordnen lässt?
5. Wie gestaltet sich das Verhältnis von Daten als Information und Daten als Mittel der Kommunikation? Hierbei interessiert vor allem, wie Daten visualisiert werden (als Text, als Bild, als Diagramm).

Dabei sollen ausdrücklich auch verschiedene Zugänge und Methoden der Datengeschichte diskutiert werden.

Wir freuen uns auf Bewerbungen in Form eines aussagekräftigen, max. 1 Seite langen deutsch- oder englischsprachigen Abstracts an volker.koehler@tu-darmstadt.de bis 30.09.2023.
Reise- und Übernachtungskosten können für Vortragende übernommen werden.

Kontakt

Volker Köhler
volker.koehler@tu-darmstadt.de

https://www.geschichte.tu-darmstadt.de/institut_fuer_geschichte_1/ifg_kontaktdetails_25344.de.jsp